Im Jahr 2007 habe ich die Diagnose „Emotional Instabile Persönlichkeitsstörung des Types Borderline“ bekommen. Es war eine Mischung aus Erleichterung und Entsetzen.
Erleichterung, weil ich plötzlich wusste, dass ich krank bin, dass jemand Ahnung davon hat, was ich erlebe und durch mache, dass das, was mein Leben erschwert, zum Teil unmöglich macht, einen Namen hat und wissenschaftlich erforscht ist.
Entsetzen, weil ich mit etwas konfrontiert wurde, was ich bisher in keiner Weise erlebt habe. Ich hatte keine Begegnung zu psychisch kranken Menschen. Aber ich war offen und zu diesem Zeitpunkt der festen Überzeugung, dass ich mit einer Therapie alles in den Griff bekommen würde.
Wie falsch ich damit lag, konnte ich damals noch nicht wissen, dass es eine Erkrankung ist, mit der ich jeden Tag neu konfrontiert werde, konnte ich damals nicht ermessen. Freiwillig ging ich in eine Klinik, dachte, das ist wie mit einer körperlichen Erkrankung. Aufenthalt im Krankenhaus und alles wird wieder gut. In dieser Klinik wurde ich erstmal auf meine Depressionen behandelt. Borderline war gar kein Thema. Sozialarbeiter, Therapeuten und Ärzte versuchten mich erstmal wieder soweit fit zu bekommen, dass ich keine Gefahr mehr für mich darstellte. Denn das tat ich.
Finde den passenden Weg
Nach dem Klinikaufenthalt suchte ich einen Therapeuten für Borderline – und stand vor der Realität, dass keiner mich therapieren wollte. DBT war zwar schon bei vielen als neues Konzept angekommen, aber keine kannte sich damit aus.
Mir wurde von vielen Therapeuten gesagt: Borderliner seien nicht zu behandeln. Es ging wieder abwärts.
Schlussendlich hat es fast 10 Jahre gedauert, bis ich eine Duale Behaviour Therapie machen konnte. Und ich bin froh darüber. Verhaltenstherapien find ich seitdem klasse.
Die Kunst, die Medien und die Scham
Doch wie beeinflusst Borderline, oder vielmehr die emotional instabile Persönlichkeit, mein Leben? Es ist viel darüber gesprochen worden, in den Medien, dass Borderliner sich selber verletzen, sich „ritzen„.
Eine Zeitlang konnte ich auf Twitter den Trend verfolgen, dass Jugendliche es wie eine Art Sport oder Kunst betrieben, stolz darauf waren und Bilder ihrer Verletzungen online posteten. Die Kommentare waren manchmal schlimmer für mich, als die Bilder selber.
Von hübschen Mustern wurde gesprochen, es wurde gelobt, oder herausgefordert, niedergemacht, wenn die Wunden „nicht tief genug waren„. Borderline wurde zu einer Modeerkrankung und ich traute mich nicht mehr auch nur das Wort im Zusammenhang mit mir selber in den Mund zu nehmen.
Lieber nutzte ich die Langform, verwies auf meine anderen Diagnosen, als meine Hauptdiagnose zu nennen.
Dieses Ausschlachten in den Medien hat es Borderlinern für lange Zeit schwer gemacht, ernst genommen zu werden. Auch heute begegne ich noch Menschen, die sagen „Ach, dass sind doch die Jugendlichen die sich ritzen. Dafür bist du doch schon zu alt.“
Mehr als nur das was man sieht
Übersehen wird dabei, dass Borderline wesentlich mehr ist, als nur Ritzen. Das selbstverletzende Verhalten – gerne auch SVV genannt – kann ein Teil dieser Erkrankung sein, muss es aber nicht.
Die zum Teil für uns Betroffenen wesentlich einschränkenderen Aspekte sind oftmals gar nicht bekannt – Ritzen ist ja auch wesentlich medienwirksamer (Achtung Ironie!).
Viele, die sich schon mit Borderline beschäftigt haben werden den Satz „Verlass mich nicht, ich liebe dich! Ich hasse dich, verpiss dich!“ in so oder so ähnlich gehört haben und er ist ein ziemlich gutes Beispiel für die Divergenz dieser Erkrankung.
Der Begriff Borderline und auch die Einstufung dieser Erkrankung ist durch viele Stationen gegangen. Erst galt sie als direkt verwandt zur Schizophrenie, dann als Grenzerkrankung zwischen Psychose und Neurose. Irgendwann wurde sie eigenständig.
Und es trifft alles – irgendwie. Jeder Borderliner erlebt es anders, und doch ist für uns alles eines gleich: Verhaltensweisen die wir im Laufe des Lebens erlernt haben, sind ungesund für uns; Nähe und Zuneigung ertragen wir entweder gar nicht oder brauchen sie zum Leben, und das kann sich schnell abwechseln; Unser Stresslevel ist generell höher als das anderer Menschen, wir explodieren schneller, sind impulsiver.
Und irgendwie immer mit dabei: Depressionen, Manisch-depressive Episoden, oft genug Traumata mit Folgestörungen.
Es kann nicht mit einer Therapie behoben werden, es begleitet einen das Leben lang. Jeden Tag stehe ich vor der Herausforderung, meine Kraft für die Dinge einzuteilen, die mir wichtig sind.
Und ich?
Mein Mann hat eine gewisse Gelassenheit gegenüber meinen Momenten entwickelt, in denen ich ihn zurück stoße. Zum Glück. Er versteht es.
Alles zu erzählen, was Borderline mit meinem Leben angestellt hat, würde einen Beitrag sprengen. Daher werden noch so einige folgen. Erlebnisse, Erfahrungen. Für mich als Tagebuch, für euch – zum Verstehen? Vielleicht.
Foto von Marcelo Moreira von Pexels
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