Als ich den Entschluss fasste, mich vom allgemeinen Arbeitsmarkt zu verabschieden und in eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung zu gehen, waren zwei Gefühle vorrangig vorhanden: Erleichterung und das Gefühl versagt zu haben.
Heute möchte ich versuchen, es zu erklären und vielleicht schaffe ich es, einigen die Angst vor diesem Schritt zu nehmen.
Wer wissen möchte, wie ich zu dieser Entscheidung kam, ist gerne eingeladen in den Artikel “Sackgasse Behindertenwerkstatt?” zu lesen. Im Artikel “Der Werkstattlohn” erkläre ich, wie sich eigentlich mein Arbeitsentgelt zusammensetzt.
Die Erleichterung
Ich fange mit dem Positiven an: Die Erleichterung, die mich durchströmte, war grandios, wohltuend und die Angst nahm langsam und stetig ab.
Als ich in die Werkstatt ging, wollte ich mir lediglich mit einem Praktikum Zeit erkaufen. Denn ich war in extremer Zeitnot. Die berufliche Rehabilitation, in der ich mich befand, baute darauf, dass ich über Praktika den Wiedereinstieg in den allgemeinen Arbeitsmarkt schaffe. Dabei musste ich in einer gewissen Zeit das erste Praktikum absolvieren. Doch ich fand keine Praktikumsstelle.
Die zwei Wochen Praktikum sollten mir also ein wenig Puffer geben.
Doch schon nach wenigen Tagen merkte ich, dass es mir gut tat. Die Werkstatt, das Umfeld, die Arbeit. Ich ging wieder arbeiten, ich saß nicht in einem Büro an veralteten PCs und suchte ohne Erfolg nach einem Praktikum. Ich konnte das machen, was ich gelernt hatte und liebte: Mediengestalter.
Hinzu kam die wirklich angenehme Atmosphäre in dem kleinen Büro, in dem wir heute noch sitzen.
Ich wurde mit offenen Armen von den Gruppenleitern und dem sozialen Dienst empfangen, ich wurde ernst genommen, wahrgenommen und meine Fähigkeiten wurden wertgeschätzt.
Das hat sich bis heute nicht geändert.
Ich war erleichtert und zufrieden, langsam kehrten positive Gefühle zurück, die schon seit einigen Wochen abhanden gekommen waren. Ich ging seit langem wieder morgens glücklich aus dem Haus und gerne zur Arbeit.
Ich durfte ich sein! Inklusive meiner Schwächen, meiner Erkrankung und meiner Probleme! Was ein Geschenk wurde mir hier gemacht?
Und dennoch, ein negatives Gefühl kam auf und ließ mich für lange Zeit an meiner Entscheidung zweifeln.
Das Gefühl, versagt zu haben
Dass die Werkstatt auf mich einen positiven Eindruck machte, habe ich nun hinlänglich erzählt. Aber ich nagte auch an mir, an meinem Leben, an meiner Entscheidung.
Denn in der Werkstatt zu bleiben hieß für mich gleichzeitig, ich habe versagt. Ich bin nicht fähig, wie andere, „gesunde“ Menschen arbeiten zu gehen. Ich bin nicht fähig, meinen Lebensunterhalt alleine zu bestreiten. Ich bin nicht fähig “zu arbeiten”.
Und immer wieder werde ich mit diesen Gefühlen konfrontiert. Nicht durch mich selbst. Ich habe für mich gelernt, dass ich “arbeiten” gehe. Mein Leben ist nun mal nicht nach Lehrbuch verlaufen und der Preis dafür ist hoch. Aber ich habe das, was so schön “Teilhabe am Arbeitsleben” heißt. Ich bin Teil von etwas, und das ist für uns Menschen wichtig.
Aber immer wieder erlebe ich Aussagen wie “Behindertenwerkstatt, das ist doch nur…”. Ja, das ist doch nur… Wahlweise wird hier eine mindere Tätigkeit eingesetzt oder eine Umschreibung für Faulenzen oder Ähnliches angefügt.
Werkstatt heißt nämlich auch, Erwerbsminderungsrente oder Grundsicherung zu beziehen. Und das ist alles mit Vorurteilen behaftet. Gerade wenn man unsichtbar behindert ist, wenn man nicht auf den ersten Blick sieht, dass der Mensch vor einem nicht vollumfänglich “gesellschaftlich akzeptabel funktioniert”.
Ich bin auf unser Sozialsystem angewiesen und eine “Belastung” für andere Menschen. Meine Rente kommt aus der Rentenkasse, die Grundsicherung mancher Kollegen aus dem Sozialsystem.
Wäre ich ein Auto, wäre ich ein wirtschaftlicher Totalschaden.
Ihr merkt, woher die negativen Gefühle kommen. Und ich habe viele gute Argumente gegen diese Gefühle, gegen die Fehl-Aussagen, gegen die Emotionen.
Meine Chance
Werkstatt heißt für mich, eine Chance zu haben. Eine Chance auf eine geregelte Arbeit, in der meine Bedürfnisse nicht zu kurz kommen.
Denn auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kann ich nicht bestehen, nicht bei den heute meist üblichen Bedingungen. Ich kann den Zeitdruck nur schwer ertragen, Unruhe, schreiende Chefs, ständiger Druck verschlimmern meine Erkrankung.
Langfristig würde ich in alte Verhaltensmuster rutschen, meine Arbeitsleistung schon nach wenigen Monaten immens abnehmen und ich wäre vermutlich wieder arbeitslos, weil ich die in mich gesteckten Ziele nicht erfüllen kann.
In der Werkstatt sind die Ziele auch da, aber sie drücken einen nicht nieder. Sie sind an den Rahmen meiner Erkrankung, an mein Leben, meine Fähigkeiten angepasst.
Ich muss hier nicht tagtäglich beweisen, dass ich perfekt bin. Ich muss ich sein – auch wenn der Tag nicht funktioniert, meine Kreativität gerade eine Pause einlegt oder in Urlaub geflogen ist, meine Psyche meint, Krawall zu machen und meine Emotionen wie eine Sintflut über mich einbrechen.
Hier darf ich schwach sein, dann werde ich aufgefangen – von Kollegen und Gruppenleitern.
Und wenn ich stark bin, dann kann ich die schwachen Kollegen auffangen.
Ich muss mich nicht entschuldigen oder rechtfertigen.
Ich darf sein!
Und das war und ist meine Chance.
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Liebe Marie! Seit einiger Zeit bin ich Leserin deines Blogs und nun möchte ich gerne mal einen Kommentar schreiben: dein Beitrag zum Thema Arbeiten auf dem 2. Arbeitsmarkt hat mich berührt und einiges in mir ausgelöst. Ich bin in einer ähnlichen Situation, recht gut qualifiziert und arbeite aufgrund meiner Erkrankung seit 10 Jahren in einer WfbM. Mir tut das Arbeiten dort gut, aber ich kämpfe immer wieder mit dem Gefühl, versagt zu haben. Dein Bericht hat mir vermittelt, dass es okay ist, wie es ist! Ich bin richtig dort, kann mich sicher fühlen.
Ich danke dir dafür von Herzen…das war ganz wichtig für mich!
Mach bitte weiter mit deinem Blog
Liebe Brigitte,
vielen lieben Dank für deinen Kommentar. Rückmeldungen wie diese zeigen mir, dass ich nicht alleine bin und ich Menschen erreichen kann. Es freut mich, dass du glücklich bist und vor allem, dass du deinen Platz gefunden hast. So, wie wir sind, sind wir gut, und das ist wichtig und richtig. Mach weiter und glaub an dich! ♥