Die Schatten lauern - Umgang mit Selbstmordgedanken
Erfahrungen und Erlebnisse

Die Schatten lauern – Umgang mit Selbstmordgedanken

Die Schatten lauern Selbstmordgedanken

Ein großes Tabuthema sind bei psychisch erkrankten Menschen Selbstmordgedanken. Denn oftmals ist es so, spricht man darüber, kann man, je nach Gesprächspartner damit rechnen, an die nächste Klinik-Ambulanz verwiesen zu werden. 

Doch was ist, wenn Selbstmordgedanken zum Alltag gehören? Muss ich jedes Mal Hilfe aufsuchen? Ich sage da ganz deutlich nein. Denn: Darüber nachzudenken oder sich in einer akuten, lebensgefährlichen Lage zu befinden, sind definitiv zwei Paar Schuhe.

Vorhang auf, für ein gerne totgeschwiegenes Thema bei Borderlinern! 



Triggerwarnung:

In diesem Artikel geht es um den Umgang mit Selbstmordgedanken! Wenn du akut betroffen bist oder Hilfe brauchst, dann kannst du dich an deinen Arzt, die Klinik in deinem Ort oder an die Telefonseelsorge wenden: 0800 1110111 oder 0800 1110222




Die Schatten lauern…

Am Rande meines Bewusstseins lauern sie, die Schatten. Es sind Stimmen oder Gedanken, die überhaupt nicht freundlich gesinnt sind. Denn sie wollen mir nur eines einflüstern: “Du bist nicht gut genug, ohne Dich wäre die Welt besser dran.” 

Und ich weiß, dass es nicht nur mir so geht. 

Selbstmordgedanken sind für mich so alltäglich wie der morgendliche Kaffee. Wie das Zähneputzen nach dem Aufstehen. 

Wer es nicht kennt, möchte jetzt bestimmt sagen: “Such dir Hilfe, das ist doch nicht gesund.” Meine ernstgemeinte Frage könnte hier lauten: “Und wie soll deiner Meinung nach die Hilfe aussehen?”

Ein paar Randerklärungen dazu: Ich bin gut therapiert, bin mit meinem Leben zufrieden, meine letzte “bewusste” Selbstverletzung liegt einige Jahre zurück. Ich bin stabil.

Also, mit Hinblick auf meine Lebensumstände, auf mein Leben im Allgemeinen, wäre die einzige wirklich funktionierende Hilfe, ein Austauschen meines Gehirns.

Medizinisch nicht möglich. 

Ich weiß, dass ein Selbstmord für mich nicht in Frage kommt, denn ich liebe mein Leben. Und dennoch lauert dieser Gedanke in den dunklen Schatten meines Gehirns. 

Die Sätze des Grauens

Was genau lauert denn da eigentlich? Im letzten Absatz habe ich schon mal einen gesagt. Aber es sind noch mehr. Hier mal ein Best Of:

“Dein Mann hätte es ohne dich leichter.”

“Dich liebt doch sowieso niemand.”

“Niemand würde dich vermissen.”

“Das Elend hätte dann ein Ende.” 

Autsch! Wenn ich das so lese, dann möchte ich wirklich gerne in Depressionen versinken und mein Elend auskosten. Das steht allerdings nicht zur Wahl, weil ich es auch eigentlich gar nicht will.

Aber immer wieder, zu eigentlich absolut unnützen Zeiten, kommen diese Sätze. Es gibt keine spezifischen Auslöser, aber sie kommen immer wieder.

Mittlerweile sind es schon alte Freunde, wir kennen uns, wir mögen uns vielleicht nicht besonders, aber die Selbstmordgedanken jagen mir keine Angst mehr ein.

Denn ich weiß, sie gehören zu mir. Sie kommen dann, wenn ich viel zu tun habe, wenn ich im Stress bin oder wenn etwas mal nicht geklappt hat. 

Sie können selbst dann vorbeikommen, wenn es mir eigentlich gut geht. Diese Art Freunde brauchen keine Einladung, kündigen sich nicht an – sie sind einfach da. 

Selbstmord – nein danke! 

Wie gesagt, ich hab mich an sie gewöhnt. Und ich habe viele gute Argumente gegen diese Sätze, gegen die Gedanken. 

Ich weiß, dass mein Mann mich liebt und dass nicht nur er trauern würde, wenn ich nicht mehr wäre. Ich weiß, dass ich viel verpassen würde, wenn ich mir das Leben nähme. Ich hab Konzertkarten für das kommende Jahr – ich will die Bands sehen. Aber das ist nur ein Punkt auf der langen langen Liste von Dingen und Aktivitäten, die als handfeste Argumente dienen. 

Ich weiß, dass ich mich nicht umbringen werde. Und vielleicht kann ich gerade deswegen diese Gedanken so problemlos zulassen. Und ich weiß, dass es vielen so geht.

In einer meiner Beratungen als Peer-Berater sprach mich eine andere Borderlinerin auf eben jene Problematik an. Mein eiskalter Rat: “Lass die Gedanken ruhig zu. Sie werden nicht einfach verschwinden. Aber setze sie nicht in die Tat um.” Ihre Reaktion hatte etwas empörendes, denn sie versicherte mir, das käme ihr nie in den Sinn.

Und so geht es mir auch oft genug: Ich denke immer wieder darüber nach, wie es wäre, wenn… wie würde ich es machen? Wer würde mich finden? 

Es gehört zum Krankheitsbild. Ich dachte am Anfang, irgendwann müssen diese Schatten doch verschwinden, müsste ich ein Leben führen können ohne Selbstmordgedanken. 

Ich habe mich getäuscht, aber das ist okey! Denn nur, weil diese Gedanken in den Schatten lauern, sind sie nicht gefährlich. Ich habe mir bewusst gemacht, dass sie einfach dazugehören, sie ein Teil von mir sind. 

Das macht es leichter. Denn ich weiß: Sie gehen wieder. So wie sie kommen, verlassen sie mich auch.

Und dazwischen? Da versuche ich mein Leben zu genießen!


Photo by Kelly Sikkema on Unsplash 

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