In Würde zu sich stehen - ein Seminar und eine Lebenseinstellung
Erfahrungen und Erlebnisse

In Würde zu sich stehen – ein Seminar und eine Lebenseinstellung

Wer mit einer psychischen Erkrankung diagnostiziert wird, der steht irgendwann unweigerlich vor der Frage „Wie gehe ich damit gegenüber meinen Mitmenschen um?“.

Jeder entscheidet für sich selber, wie er mit seiner Erkrankung gegenüber dritten umgeht und genau darum ging es in einem Seminar, welches ich in den vergangenen Wochen besuchen durfte.

Wie ich mit meiner psychischen Erkrankung umgehe, sollte ziemlich deutlich sein: offen! Ich trage sie nach außen, in der Hoffnung anderen Betroffenen zu helfen. Sei es als Peer-Berater oder mit diesem Blog. Ich möchte aber auch Menschen, die keine Erfahrung mit psychischen Erkrankungen gemacht habe zum Umdenken bewegen, ihnen verdeutlichen, dass es eine ernsthafte Krankheit ist..

Die Stufen der Offenlegung

Wie so vieles in unserer Welt, ist auch der Umgang Betroffener mit ihrer Erkrankung erforscht. So entstanden die fünf Stufen der Offenlegung, hier einmal ohne große Erklärungen benannt:

  1. Vermeidung sozialer Kontakte
  2. Geheimhaltung
  3. Ausgewählte Offenlegung
  4. Uneingeschränkte Offenlegung
  5. Aktive Verbreitung der Erfahrung

Für jede dieser Stufen gibt es Vor- und Nachteile und ein jeder entscheidet sich selbstständig. Interessant für mich war, dass ich bei mir in der Retroperspektive beobachten konnte, dass die Stufen – natürlich – nicht unbedingt in dieser Reihenfolge auftreten, manchmal geht man einen Schritt zurück, oder überspringt einen.

Meine Erfahrung

Nachdem ich meine Diagnose erhalten hatte, ging ich damit in meinem Familien- und Bekanntenkreis offen um. Außenstehende informierte ich nicht. Also war ich einfach mal auf der dritten Stufe angekommen. Weit vor meiner Diagnose, bevor ich also wusste, was überhaupt mit mir los war, habe ich eine ziemlich lange Zeit jegliche sozialen Kontakte vermieden, stand ganz unbewusst auf Stufe 1. Doch diese Stufe sollte irgendwann wieder kommen.

Nun war alles damals nicht so einfach, Borderline galt als Jugenderkrankung „aus der man rauswächst“, es gab so gut wie keine Therapeuten, die Borderliner behandeln wollten und DBT war noch ein ziemlich großes Fremdwort, mit dem keiner etwas anfangen konnte.

Ziemlich schnell landete ich wieder bei der Geheimhaltung, denn ich wollte nicht erklären, nicht rechtfertigen. Einige Jahre ging das auch gut, bis. . . Ja, bis ich genau davon eingeholt wurde. Ich hatte niemanden, mit dem ich über meine Ängste, Sorgen und Nöte reden konnte. Also landete ich wieder auf Stufe 3, informierte Ärzte und Ämter über meine Probleme und bekam ein wenig Hilfe. Ich konnte eine Umschulung machen.

In der lernte ich meinen Mann kennen. Und auch wenn es von Anfang an kein Thema zwischen uns war, so erzählte ich ihm zu Beginn doch nicht, welche Krankheit mich plagte.

Doch irgendwann schlug die Erkrankung noch einmal richtig durch, ausgelöst durch Stress und äußere wie innere Einflüsse. Und ich musste mich meiner Erkrankung stellen. Damit landete ich irgendwo auf Stufe 4, denn alle um mich herum wussten, ich machte eine Therapie.

Wer jetzt meint, von da aus ging es direkt zu Stufe 5 täuscht sich, denn ein Erlebnis mit einer damaligen Freundin beförderte mich wieder eine zurück.

Der Schritt zurück

„Ich will das gar nicht wissen und auch nicht darüber reden.“ Eigentlich dachte ich, mit Freunden könnte man problemlos auch über so etwas reden. Ich wurde eines besseren belehrt. Fun Fact: die Freundschaft ging dann auch irgendwann in die Brüche. Aber damit ging es wieder einen Schritt zurück.

Irgendwann landete ich dann in einer Behindertenwerkstatt – wie es dazu kam, könnt ihr hier im Detail nachlesen – und damit wuchs auch meine persönliche Akzeptanz meiner Erkrankung.

Hier wurde mir das Gefühl gegeben, trotz oder gerade wegen meiner Erkrankung ein wertvoller Teil der Gesellschaft zu sein. Ich lernte andere Menschen mit Beeinträchtigung kennen, hatte Menschen um mich herum, für die das nichts Besonderes war. Es bestärkte mich unglaublich in meiner eigenen Biografie.

Ziemlich schnell ging ich wieder offen mit meiner Erkrankung um und als ich von Bekannten immer wieder gefragt wurde, was es eigentlich mit Borderline auf sich hat, fing ich an, auf Stufe 5 zu krabbeln.

Und jetzt?

Jetzt versuche ich Vorurteile abzubauen, versuche psychische Erkrankungen begreiflich zu machen, trage meine Erkrankung wie ein Aushängeschild vor mir her. Und tatsächlich geht es mir damit so gut wie noch nie. Ich habe gelernt, mit Ablehnung umzugehen, sie mir zu Nutze zu machen. Es ist sicherlich nicht für jeden die ultimative Entscheidung.

Das Seminar

Warum habe ich, die also eigentlich gut mit ihrer Erkrankung umgehen kann, an einem Seminar darüber teilgenommen, wie man mit einer psychischen Erkrankung umgeht?

Ganz einfach: man lernt nie aus und ich habe wirklich einige sehr gute Impulse aus dem Seminar mitgenommen.

Das Seminar wurde von Thomas geleitet und fand online statt. Thomas ist Genesungsbegleiter und bietet dieses Seminar in Köln an, und das schon seit einiger Zeit, er selber ist also nicht nur Betroffener, sondern hat auch gelernt, andere zu unterstützen ihren Weg zu gehen.

Die Gruppe war angenehm klein – ich mag keine großen Gruppen und war dafür sehr sehr dankbar – und die vier Termine waren fast schon zu wenig, denn die Gruppe war wirklich angenehm. Aber für die Themen, die behandelt wurden, reichte es vollkommen aus.

Nach einem kurzen Kennenlernen widmeten wir uns den Themen. Und dabei ging es vorrangig um die einzelnen Stufen der Offenlegung. Wir konnten aus unserer persönlichen Erfahrung berichten, nahmen uns aber auch Geschichten und Videos von anderen an, die als Beispiele angebracht wurden.

Immer wieder ging es um unsere eigenen Erfahrungen, so konnten wir viel voneinander lernen. Anhand von Tabellen oder Fragen, wägten wir für und wider der einzelnen Stufen ab, überlegten uns eigene Fallbeispiele, formulierten Ängste aber auch Erfreuliches. Und gerade das machte es so wertvoll: einfach mal die eigenen Ängste, die Ängste von Anderen wahrnehmen, aussprechen, vielleicht auch sie über Bord werfen.

Thomas entpuppte sich als fähiger Moderator des Seminars und lockerte mit Videos auch mal das doch gerne trockene Thema auf.

Unsere eigenen Geschichten wurden gehört, Impulse wurden mitgegeben und der Blick über den Tellerrand hinaus hat auch mir gezeigt, dass meine eigene Geschichte gar nicht so selten ist. Andere erleben es so oder ähnlich.

Fazit

Ich bin froh, dass ich das Seminar mitgemacht habe. Auch wenn ich selber mittlerweile meine Erkrankung nutze, um aufzuklären und vielleicht etwas zu bewegen, so hat es mir erstaunlich gut getan, mit anderen genau darüber zu reden. Noch einmal zu erfahren und auch nachzuspüren, welche Ängste einen beeinträchtigen.

Wer sich für das Seminar interessiert kann unter diesem Link Informationen zu anstehenden Seminaren finden.

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