Borderline Psychose
Borderline Erfahrungen und Erlebnisse

Borderline und Psychose – Als ich glaubte, ich sei ein Monster

Habt ihr schon mal von Psychosen gehört? Hatte ich bis vor einigen Jahren auch nicht, erst Recht nicht im Zusammenhang mit Borderline. Ich habe erst bei meinem letzten Klinikaufenthalt 2014 erfahren, was es genau damit auf sich hat. Sieben Jahre nachdem ich eine ganze Reihe von Psychosen erlebt hatte, die mich glauben ließen, ich sei ein Monster. Meine Erfahrung.

Eine ziemlich gute Definition bietet die Seite der Neurologen und Psychiater im Netz und ich bin so frei und zitiere:

Unter dem Begriff „Psychose“ fasst man eine Reihe (in vielen Fällen vorübergehender) psychischer Störungen zusammen, bei denen die Betroffenen die Realität verändert wahrnehmen oder verarbeiten. Das Krankheitsbild bei Psychosen ist sehr vielfältig. Betroffenen haben typischerweise Halluzinationen oder Wahnvorstellungen sowie schwerwiegenden Denkstörungen. Diese Symptome werden oft von starken Ängsten begleitet. Zusätzlich können auch Störungen des Antriebs oder sogenannte „Ich-Störungen“ auftreten.

Neurologen und Psychiater im Netz

Soweit so gut. Da das hier ein Erfahrungs- und Erlebenblog ist, kommt jetzt genau das: mein Erleben von ebenjenen Symptomen und der Moment, der mir mehr als deutlich machte, dass das, was ich in dem Moment erlebt habe, nicht die Realität ist.

Meine dunkle Zeit

Triggerwarnung: in diesem Beitrag geht es um Psychosen, selbstverletzendes Verhalten und Suizidgedanken! Wenn Du selber davon betroffen bist und Hilfe brauchst, wende dich an deinen Arzt oder an Beratungsstellen wie die Telefonseelsorge.

Ich bezeichne die Zeit um 2007 herum als meine persönliche dunkle Zeit. Die Erinnerungen sind verschwommen, die Erlebnisse vielfach traumatisch, mein Verhalten zu dieser Zeit mehr als selbstzerstörerisch – ich wandelte auf meinem vielgenannten Drahtseil sehr nah am Abgrund. Und das über mehrere Jahre. Ich trank zu viel, hatte kein Privatleben, nahm immer mal wieder irgendwelche Drogen um der Realität zu entschwinden – eine absolut ungesunde Mischung, die mich auf lange Sicht sicherlich mein Leben gekostet hätte.

So, damit zurück zum Text. Ich wohnte damals in Wuppertal in einer wirklich schönen Altbau-Wohnung. Ich hatte einen guten Job, ein Auto, regelmäßiges Gehalt und wenn man es von außen betrachtet, hätte ich glücklich sein können. War ich aber nicht. Ich war in einer Spirale gefangen, die mich immer weiter hinab zog.

Einige Wochen, eigentlich schon Monate zuvor hatte ich eine absolut toxische Beziehung beendet, nachdem mich mein damaliger Freund in einem Anfall von Posttraumatischer Belastungsstörung angegriffen hatte und versucht hatte mich zu erwürgen. Damals wusste ich noch nicht, was eine posttraumatische Belastungsstörung ist, ich hatte keine Ahnung davon. Hätte ich es gewusst, ich hätte Notarzt und Polizei verständigt, dafür gesorgt, dass er Hilfe bekommen hätte. Aber das ist eine andere Geschichte.

Hier geht es um die Zeit danach.

Ein normaler Tag

Zum besseren Verständnis meiner damaligen Situation hilft es vielleicht wenn ich einen für mich damals normalen Tag skizziere:

Um 8 Uhr fing ich an zu arbeiten, eine halbe Stunde Fahrweg musste ich mit dem Auto hinter mich bringen. Also hieß es zeitig aufstehen, Kaffee kochen, anziehen und dann los ins Büro. Ich habe zu dem Zeitpunkt als Disponentin im nationalen Nah- und Fernverkehr gearbeitet. In diesem Artikel habe ich kurz über meinen damaligen Chef gesprochen. Irgendwann bekommt er auch einen eigenen Blog-Artikel, er hat ihn sich „verdient“.

Bis 17 Uhr war ich mindestens auf der Arbeit, je nachdem wie viel zu erledigen war. In dieser Zeit sollte eigentlich auch eine Stunde Pause inbegriffen sein, die ich aber meist damit verbracht nur mal schnell in den Supermarkt gegenüber zu huschen, mir was zu Essen zu holen und das dann während der Arbeit zu essen.

Wenn dann der Feierabend da war, packte ich die Unterlagen der aktuellen Touren mit dem Dispositionsplan (da drauf waren alle LKWs inklusive Fahrer, Handynummer und aktuellen Touren vermerkt) ein, und machte mich auf den Heimweg. Immer dabei: das Diensthandy.

An guten Tagen hielt ich noch an einem Supermarkt an und besorgte mir etwas zu essen, an schlechten Tagen kaufte ich nur Wein. Dann ging es nach Hause.

Was ich nicht tat

In eine Wohnung, die zwar schön eingerichtet war… die aber so gar nicht schön war. Denn ich schaffte es nicht aufzuräumen, ich brachte den Müll zu selten raus, ich tat eigentlich gar nichts.

Was ich auch nicht tat, war den Briefkasten öffnen oder mit Menschen reden. Ich zog mich in meine Wohnung zurück und trank Wein, starrte an die Wand, las Bücher wenn ich die Kraft dazu hatte. Ich hatte weder Fernsehen noch Computer, kein Internet, kein Telefon.

Und dann stellten sich die Psychosen ein. Selbstverletzendes Verhalten war für mich zu dieser Zeit ein ganz normaler Zustand. Aber plötzlich war ich nicht mehr alleine in meiner Wohnung: Gestalten meiner Vergangenheit oder Fantasiegebilde die an Dämonen erinnerten, standen plötzlich bei mir, feuerten mich an, sagten mir wie nutzlos und erbärmlich ich doch wäre.

Manchmal floh ich aus der Wohnung, in irgendeine Kneipe in Wuppertal, fuhr mit der Schwebebahn dorthin, ließ mich auf One-Night-Stands ein.

Das Erlebnis, welches zusammen mit einer Bekannten dafür sorgten, dass ich in die Klinik ging, ist mir sehr deutlich im Gedächtnis geblieben: ich hockte in einer Ecke meiner Wohnung, versuchte vor den halluzinierten Dämonen zu fliehen, wegzukriechen. In der einen Hand hielt ich eine Weinflasche, in der anderen ein Küchenmesser. Ob ich mir an diesem Abend das Leben genommen hätte, wenn die Psychose mich nicht so dermaßen erschreckt hätte, dass ich fast schon ruckartig in die Realität geschleudert wurde, kann ich heute nicht mehr sagen. Aber die Wahrscheinlichkeit wäre sehr hoch gewesen. Es hätte vermutlich Tage gedauert, bis ich gefunden worden wäre.

Aber ich hatte Glück.

Das Monster in mir

Wer empfindlich ist, sollte den folgenden Absatz bitte überspringen! Ich beschreibe detailliert selbstverletzendes Verhalten und eine Psychose Erscheinung!

Ich hockte also da, in meiner Ecke, mit Wein und Küchenmesser, die Dämonen kamen immer näher, sie waren für mich in diesem Moment wirklich real. Irgendwo in meinem Kopf wusste ich, dass sie aus meinem Kopf entwachsen waren und ich sie kontrollieren konnte. Und ich tat das Einzige, was für mich in diesem Moment logisch war: ich versuchte mich aus der Hülle, die diese Dämonen beherbergte herauszuschneiden. Mit meiner rechten Hand schnitt ich tief in meinen linken Arm, der immer noch die Weinflasche umklammerte. Und als würde es funktionieren, schwebte ich plötzlich über der ganzen Szenerie und konnte es von oben beobachten, als würde ich an der Decke hängen.

Und was ich sah, erschreckte mich: ich sah ein kleines Kind, weinend, verängstigt, dass sich den Arm aufschnitt, aus dem grüner Schleim quoll.

Dieses Bild ist mir im Gedächtnis geblieben, es ist eines meiner schlimmsten Traumata meines Erwachsenen Daseins. Und als hätte jemand einen Schalter umgelegt, wusste ich, so kann es nicht weiter gehen. Vielleicht hat meine Bekannte damals die Verletzungen nur bemerkt, weil ich es wollte, ich weiß es nicht.

Aber das war der Tag, der dafür sorgte, dass ich nicht mehr alleine sein wollte, ich konnte mich meinen Dämonen nicht mehr alleine stellen.

Viele Jahre später

Vierzehn Jahre später, heute, weiß ich, dass diese Erlebnisse wirklich mit zu meinen dunkelsten Stunden gehören, zu einer Zeit, in der ich nahe am Abgrund gewandelt bin. Ich bin dankbar, dass ich damals Hilfe bekam, wenn auch lange Zeit nicht die Richtige. Aber immerhin hat sie mich davor bewahrt, Suizid zu begehen und mir geholfen, mein Leben wieder in die Hand zu nehmen.

Wenn Du Hilfe brauchst oder über Suizid nachdenkst, dann wende dich bitte an Beratungsstellen, deinen Arzt oder an eine der vielen Telefon- oder Onlineseelsorger.

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3 Kommentare

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