Ich schreibe hier über Dinge die mich bewegen. Derzeit bewegt mich vor allem eines. Oder eher gesagt: Einer. Mein Vater. In meiner Kindheit und Jugend ein Mann, der groß und stark war, ständig arbeitete und immer frech war. Seinen Humor habe ich lange nicht verstanden, denn er ist schwarz. Eine Art des Humors, die davon zeugt, dass er das Leben so nimmt, wie es kommt und darüber seine Witze macht.
Lange kam ich damit nicht klar, auch damit nicht, dass meine Eltern beide ziemlich verkorkst sind. Produkte ihrer eigenen Eltern. Doch im Laufe der Jahre, und mit genügend Abstand habe ich die Gefüge durchschauen können und habe seit einigen wenigen Jahren endlich ein gutes Verhältnis zu meinen Eltern. Ein besseres als ich es jemals hatte. Es ist ein schönes Gefühl.
Und dann… dann wird der Weg erneut schwer! Nicht wegen dem Humor oder dein Eigenarten meiner Eltern, sondern weil im Alter die Krankheiten kommen. Nachdem wir uns schon mit der Diagnose Sarkoidose bei meinem Vater abgefunden hatten, kam im vergangenen Jahr eine Herz-OP dazu. Dabei haben wir ihn fast verloren.
Der Vollständigkeit halber: alle aus meiner Familie haben Diabetes. Auf beiden Seiten. Mein Arzt und ich hatten schon überlegt, ob wir auswürfeln sollen, ob ich Typ-I oder Typ-II bekommen werde…
Biografisch gesehen sind alle in meiner Familie entweder an Krebs oder Diabetes gestorben. Und diese Diagnose erhielten wir dann auch vor wenigen Wochen: Lungenkrebs bei meinem Vater. Wenig verwunderlich, so hat er doch bis vor gut fünf Jahren fast Achtzig Zigaretten am Tag geraucht, die selbstgedrehten, ohne Filter. Er hat sein Leben lang schwer gearbeitet und sein Körper hat eigentlich nicht mehr die Kraft sich gegen den Tumor in seiner Lunge zu wehren.
Aber mein Vater wäre nicht mein Vater. Munter geht er zur Chemotherapie, zur Bestrahlung, weil der Tumor so ungünstig liegt, dass er auch nicht operativ entfernt werden kann. Immerhin hat er nicht gestreut – es ist dieser eine, 1,7 cm großer Tumor der jetzt da in seiner Lunge hockt und „mein Essen mitmampft, da hab ich was gegen“. Mein Vater ist ein Kämpfer, steht er doch mit über 600 Zucker in seiner Bude auf dem Weihnachtsmarkt, während andere bei diesen Werten schon längst im Koma liegen würden.
Mein Mann und ich – mal ich alleine, mal zusammen – fahren häufiger als vorher schon zu meinen Eltern. Mein Vater ist schwach geworden. Das war schon nach der Herz-OP, dass ich diese Erfahrung machen musste. Meine Kinderaugen sahen den großen, starken Mann, der mich immer auf der Sackkarre durch den Garten geschoben hat, der mit mir als Sozius Motorrad gefahren ist und ein ganzes Haus gebaut hat, eingesunken auf der Intensivstation. Und wieder ist er so klein, so zerbrechlich, traut sich nicht Auto zu fahren, was für ihn bisher ein undenkbarer Zustand war.
Im Vertrauen erzählt er mir von den Blackouts seit der Chemo, von dem Pudding in den Beinen… Und dann macht er Witze. Sagt „Beeilt euch mit den Besuchen, nicht dass ich vorher verrecke“. Und ich denke mir „Das darfst du noch nicht Papa, ich brauch dich noch…“
Ich brauch dich noch…