Borderline Erfahrungen und Erlebnisse

„Ich wünschte, ich würde im Rollstuhl sitzen.“ – Wenn die Behinderung unsichtbar ist

Dass ich behindert bin, sollte dem geneigten Leser dieses Blogs mittlerweile bekannt sein. Doch warum dieser krasse Satz in der Überschrift?

Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: man sieht mir meine Behinderung nicht an. Von vielen kommt jetzt sicherlich der Satz, dass ich darüber froh sein solle. Bin ich auch.

Auf der einen Seite. Auf der anderen Seite ist es zum Kotzen. Und warum das so ist, erzähle ich euch in diesem Beitrag.

Es ist sichtbar

Wer beeinträchtigt (behindert) ist, der hat in vielen Fällen spezielle Bedürfnisse. Sei es die Rampe für den Rollstuhlfahrer, das Vorleseprogramm am PC für Menschen mit einer Beeinträchtigung der Augen, Braille-Zeilen für die Tastatur für Blinde… ich könnte an dieser Stelle unzählige Hilfsmittel aufzählen, die nicht nur nicht günstig sind, sondern wichtig und richtig und die ich absolut genial finde. Denn sie schaffen den ersten Schritt zur Inklusion.

Bei all diesen Hilfsmitteln kann jeder, der daran vorbei geht sehen: DAS ist für einen Menschen mit Beeinträchtigung.Wenn du an meinem Arbeitsplatz vorbei gehst, siehst du keine Hilfsmittel. Ich brauche nämlich keine. Meine Beeinträchtigung zeigt sich nicht an meinem Körper. Ich bin unsichtbar behindert.

Und wie ich schon in meinem Beitrag zu Inklusion schrieb, braucht es bei mir lediglich jemanden, der ein wenig menschlicher mit mir umgeht.

Der Alltag

Im Alltag komme ich taff und selbstbewusst rüber, ich schaffe es, mein Leben selbstständig zu führen, brauche keine Hilfen – nicht mehr. Wenn jemand erfährt, dass ich einen Behinderungsgrad von 60 habe, bekomme ich in 90% der Fälle zu hören „Man merkt es dir gar nicht an.“

Nein, natürlich merkt man es mir nicht an, das ist ja das Schöne – oder das Problem. Denn für jede Hilfe muss ich kämpfen. Meine Krankheit ist zwar mittlerweile in dem Bewusstsein der Menschen angekommen, aber dank Therapien glauben viele, sie ist heilbar. Für manche mag das zutreffen, doch viele schaffen es nie, ein Leben zu führen, wie Menschen ohne Beeinträchtigung.

Doch wie schränkt meine Behinderung mich in meinem Alltag ein? Ich bin auf der einen Seite nicht so belastbar wie ein gesunder Mensch. Nach sechs Stunden Arbeit bin ich geschlaucht. Kleinigkeiten können mich an den Rande der Erschöpfung bringen und alltägliche Dinge fordern extrem viel Kraft und Engagement.

Ein Beispiel

Ein gutes Beispiel ist der Einkauf von Lebensmitteln. Ich lebe in der Weltstadt Köln, und damit dürfte klar sein, dass bei uns die Supermärkte niemals gänzlich leer sind. Es ist immer viel Betrieb. Ein gesunder Mensch macht sich seinen Einkaufszettel, geht einkaufen, ist fertig und damit hat es sich. Für mich ist es innerlich immer ein Kampf.

Schon vor Betreten des Ladens brauche ich viel Kraft um mich auf das Kommende vorzubereiten. Auf die Menschen um mich herum, darauf, durch die Gänge zu gehen und die Dinge zu finden, die auf meiner Liste stehen. Ich umklammere regelrecht den Griff des Einkaufswagens, knautsche den Zettel in meiner Hand und gehe die Gänge systematisch, mit steigender Anspannung ab. Was mich an dieser Situation so stresst, dass kann ich nur erahnen. Doch an diesem einfachen Beispiel kann man deutlich sehen, dass alles nicht so einfach ist.

Wesentlich schlimmer waren lange lange Jahre meine Unterlagen für mich. Ich war kaum in der Lage Briefe zu öffnen, erst Recht nicht jene, die von Ämtern kamen. Irgendwann war ich schon beim Anblick von Briefen so in Panik verfallen, dass ich sie einfach nicht mehr aus dem Postkasten nahm. Zu diesem Zeitpunkt bekam ich das erste Mal in meinem Leben Hilfe: durch den Gang in die Klinik bekam ich einen Betreuer, er fing an meine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen.

Weil ich es schon lange nicht mehr konnte und über zwei Jahre Papiere ungelesen, ungeöffnet in meiner Wohnung lagen. Zum Teil versteckt. Den Betreuer hab ich heute nicht mehr. Die Panik auch nicht mehr. Nur noch manchmal, wenn ein Brief vom Amt kommt oder der Rentenversicherung, oder der Krankenkasse. Dann muss ich einen Moment warten, mich sammeln, bevor ich ihn öffne.

Täglicher Kampf

Man merkt es mir nicht an, und dennoch kämpfe ich jeden Tag für meine eigene, kleine Normalität.

Ich bin behindert. Wenn du mich siehst, wirst du es nicht sehen.

So geht es jedem Menschen, der mich sieht. Für Rücksicht oder Hilfe muss ich oftmals kämpfen, muss beweisen, dass ich dieser Hilfe würdig bin, dass ich sie wirklich brauche. Ein gutes Gutachten, ein guter Psychiater, der bei Bedarf Atteste ausstellt, ist in solchen Fällen Gold wert. Ich habe Beides und sie haben mir schon manche Tür zu Hilfen geöffnet.

Ich möchte behandelt werden wie jeder andere Mensch. Aber ich möchte, dass die Menschen auch unsichtbare Behinderungen als diese wahrnehmen.

Würdest du mich anders behandeln, wenn du es sehen würdest?

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2 Kommentare

  1. […] Ich erinnere nur an den Beitrag „Ich wünschte ich würde im Rollstuhl sitzen“. […]

  2. […] Menschen nicht ansieht. Ich nenne das gerne „unsichtbar behindert” und in meinem Artikel “Ich wünschte, ich würde im Rollstuhl sitzen” habe ich über diese Problematik schon einmal […]

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